Arbeitskreis Medizingeschädigter
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in Kooperation mit dem Privaten Netzwerk Medizingeschädigter

Geoffrey ist als Sonntagskind unter keinem guten Stern geboren

Fünf Kerzen auf dem Geburtstagskuchen


Südkurier, Dienstag, 12. August 2003 / Uhldingen-Mühlhofen/Überlingen.

von
Christiane Keutner

Geoffrey ist ein Sonntagskind. Aber er ist nicht unter einem guten Stern geboren, wie man es Sonntagskindern nachsagt. Vor fünf Jahren kam er im Überlinger Krankenhaus nach Komplikationen tot zur Welt. Er wurde trotz Bitten seiner Mutter, es sein zu lassen, wiederbelebt. Jetzt ist er körperlich und geistig schwerstbehindert und Claire Bernard muss sich rund um die Uhr um ihn kümmern. Ihr Lebensgefährte und Vater von Geoffrey, Manfred Maier, Campingplatz-Betreiber in Seefelden, hat mit einem Leidgenossen ein privates Netzwerk für Medizingeschädigte www.geoffrey-mike.de im Internet initiiert. Auch als stellvertretender Vorsitzender des Vereins Notgemeinschaft Medizingeschädigter Baden-Württemberg hilft er seit kurzem Ratsuchenden.

Fünf Kerzen brennen auf dem Geburstagskuchen von Geoffrey. Seine Gäste singen "Alles Gute...". Er lacht und schaut die Flämmchen an. Zum Auspusten hat er keine Kraft. Den Kuchen kann er auch nicht essen. Denn seine Mundmuskeln sind zu schwach, er kann kaum schlucken. Eine Stunde dauert es, bis er ein kleines Gläschen Brei gegessen hat. Wegen seiner Gehirnlähmung kann er weder sprechen noch laufen oder greifen. Die Ursache: Mangelnde Sauerstoffzufuhr. Im Mutterleib hatte sich die Nabelschnur dreimal um seinen Hals gewickelt und ihn stranguliert. Mit einem rechtzeitigen Kaiserschnitt wäre er heute ein gesunder Junge, könnte mit den Geburtstagsgästen baden und spielen. Das erbrachte ein Gutachten. Doch die Gefahr und die Komplikationen wurden ärztlicherseits unterschätzt. So ist ein Großteil der Gehirnzellen abgestorben.

Die Haftpflichtversicherung des diensthabenden Arztes, der inzwischen im Ruhestand ist, hat zwar "Schadensersatzansprüche" gezahlt, doch mit Geld allein, das sie für Therapien verwenden, ist es den Eltern nicht getan. Sie wollen ihn und ihren Wunscharzt auch strafrechtlich haftbar machen. Manfred Maier: "Wir wollen damit ein Zeichen setzen auch für andere, damit sie sehen, so kann nicht gearbeitet werden. Man muss auch mehr Verantwortung zeigen für die Arbeit, die man tagtäglich tut." Der Wunscharzt, der bei der Geburt dabei sein wollte, aber erst verspätet kam, fühlt sich unschuldig. In einem Fernseh-Interview sagte er, dass er weder Alternativen noch Handlungsspielraum hatte, und dass ihn der Fall emotional tief belaste. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass der Wehenschreiber als auch die Saugglocke defekt waren. Doch, so die Eltern, die Ärzte hätten sich nie gekümmert.

Sie dafür umso mehr. Unter "www. geburtsschaden.de" hat Manfred Maier mit einem anderen Betroffenen eine Homepage mit vielen Links installiert, für die er täglich mehrere Stunden aufbringt. Ziel des privaten Netzwerks ist es nicht, Leute an den Pranger zu stellen; sie wollen vielmehr ihr Wissen an andere Betroffene weitergeben, Erfahrungen austauschen und anderen mit Verdacht einer Fehlbehandlung helfen. Sie erhalten schnell nützliche und vor allem kostenlose Tipps.

Wie zum Beispiel die Adresse von Professor Kozijavkin. Zweimal jährlich fliegt die Familie zu ihm in sein Rehabilitationszentrum in der Ukraine. In zwei Wochen gelingt es ihm, den Gesundheits-Zustand von Geoffrey mit eigenen, in Deutschland nicht praktizierten Methoden, zu verbessern. 4500 Euro kostet eine Reise. Sie wird von den deutschen Krankenkassen nicht bezahlt.

Unbezahlbar ist das, was Claire Bernard für ihren Sohn tut. Monika Hauser, Vorsitzende der Notgemeinschaft Medizingeschädigter BW: "Ich bewundere die Eltern, wie sie mit der Situation und wie liebevoll sie mit Geoffrey umgehen und was sie für ihn tun. Sie haben meine absolute Hochachtung!"

Keine Minute ist der Fünfjährige allein, denn er benötigt unablässig Körperkontakt und -Wärme und das Gefühl der Sicherheit. Seit fünf Jahren hat die Mutter nicht ein einziges Mal mehr durchgeschlafen. Nach maximal drei Stunden wacht Geoffrey auf und muss umgelagert werden, da er das aus eigenen Kräften nicht kann. Sechs Stunden übt sie mit ihm, macht Gymnastik, versucht ihn, seinen Körper spüren zu lassen - Voraussetzung für Fortschritte. Mit vier konnte er erstmals in einen Kinderwagen gesetzt werden. Inzwischen kennt die gelernte Krankenschwester Claire Bernard auch alle ergo- und physiotherapeutischen Kniffe. Zur seelischen Belastung kommt die körperliche hinzu; das ständige Tragen ihres Kindes fordert seinen Tribut.

Hinzu kommt der Kampf mit dem Pflegedienst. Trotz Pflegestufe 3plus wird permanent versucht, Stunden abzubauen. Hilfe am Wochenende, an Feiertagen, nachts oder in den Ferien gibt es nicht. An kurzfristige Absagen von Pflegekräften und Therapeuten sind sie schon lange gewöhnt. Fünf Jahre hat Claire Bernard ihre Eltern und Geschwister in Kanada nicht mehr gesehen; die Reise wäre für Geoffrey zu anstrengend. Nicht mal zu einem Kinobesuch mit ihrem Mann hat sie es geschafft. Freunde sind rar geworden.

Das Lachen mit ihrem Sohn hat sie nicht verlernt. "Wurscht, Wurscht", sagt sie und streichelt ihm über den Rücken und Geoffrey lacht. Ihre Energie zieht sie aus der Hoffnung, dass ihr Sohn einmal laufen und sprechen und vielleicht sogar selbständig sein kann. "Ich möchte, dass er ,Mama` sagt." Sollte er es schaffen, ist das ihrem aufopfernden Einsatz und dem ihres Mannes zu verdanken. Insofern ist Geoffrey doch ein Sonntagskind.



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