Arbeitskreis Medizingeschädigter
BUNDESVERBAND -AKMG- e.V.

in Kooperation mit dem Privaten Netzwerk Medizingeschädigter

Patientenmacht gegen Ärztepfusch


Schwäbische Zeitung, Mittwoch, 29. Oktober 2003

Landkreis Biberach
(uno)

Die Patientenschutzgruppe "Medizingeschädigter Baden-Württemberg" hat nun auch im Landkreis Biberach eine feste Ansprechpartnerin: Aus eigener leidvoller Erfahrung ließ sich nun Irmgard Götz aus Oberessendorf in den Vorstand wählen und ist im Landkreis erste Kontaktadresse.

Sieben Mal ging Irmgard Götz aus Oberessendorf im Laufe eines halben Jahres zu ihrem Arzt und klagte über Schmerzen im Bauchbereich. Der Arzt hörte sich die Klagen an, ließ Stuhlgangproben machen, riet zur Umstellung der Ernährung. Beim achten Mal wandte sie sich an eine andere Ärztin, die sie am Bauch abtastete und sofort in die Klinik einwies. Diagnose: Faustgroßer, bösartiger Tumor. Noch am gleichen Tag wurde sie operiert. Hätte ihr Arzt ihre Beschwerden ernster genommen, wäre das ein halbes Jahr früher möglich gewesen. Nun klagt Irmgard Götz mit Hilfe der Notgemeinschaft gegen den Arzt. Wie auch Roswitha Aßfalg aus Bad Schussenried, die nach einer fehlerhaften Spritze Abszesse bekam, deren Leber und Nieren versagten, bei der sich eine Blutvergiftung einstellte.

Ärztefehler sind keine absoluten Einzelfälle. Darauf deutet auch die Vielzahl der Anrufe hin, die inzwischen bei der Notgemeinschaft Jahr für Jahr eingehen. Rund 15000-mal gibt die Selbsthilfegruppe Tipps, gewährt Trost, klärt ab, hilft weiter. Denn die geschädigten Patienten stehen einer Mauer aus Bürokratie, einer Mauer des Schweigens und vor allem Versicherungskonzernen gegenüber, die die Schuld und damit die Zahlungen wegschieben wollen. "Den Patienten wird oft unterstellt, dass die Schmerzen Einbildung wären", sagt Monika Hauser aus Isny, die 1. Vorsitzende des Vereins in Baden-Württemberg.

Auch Irmgard Götz war am Anfang allein. Erst durch einen Leserbrief in der Zeitung wurde sie auf die Notgemeinschaft aufmerksam, bei der sie im Dezember 2000 Mitglied wurde. Die Nothilfegruppe klärte sie über ihre Rechte auf, etwa dass sie ein kostenloses Gutachten durch den medizinischen Dienst machen und dass sie ihre Patientendaten kopieren lassen kann. Aber: Vor allem treffen die Geschädigten dort Menschen, die sie verstehen. Denn alle Vorstandsmitglieder sind selbst Betroffene: "Selbst in der Familie ist es doch so, dass es nach dem dritten Mal niemand mehr interessiert", sagt Monika Hauser, die durch eine fehlgelaufene Operation am Rücken kurzfristig querschnittsgelähmt war. Inzwischen kann sie wieder unter starken Dauerschmerzen kurze Stücke an Krücken gehen.

Der Prozess von Irmgard Götz vor dem Landgericht steht noch aus. Sie will keine Rache, sondern Gerechtigkeit. Ihr geht es nicht vordringlich um Schmerzensgeld, sondern um das Eingeständnis eines Fehlers durch den "Halbgott in Weiß". Denn der Operation folgten 57 Chemotherapien, die psychische Belastung ist enorm. "Von den zehn Bekannten aus der Chemotherapie sind noch drei am Leben", macht die 52-Jährige den Ernst der Situation deutlich. Ihren Beruf kann sie nicht mehr ausüben. Und ihr ehemaliger Arzt schweigt dazu.

Götz wirft ihm vor, dass schon viel früher eine Diagnose möglich gewesen wäre. Spätestens sechs Wochen vor der Operation hätte der Arzt anhand der Stuhlproben stutzig werden müssen: Etliche Werte waren alarmieren, der Tumormarker klar erhöht. Doch nichts geschah. Stattdessen muss sich die 52-Jährige nun mit der Haftpflichtversicherung herumschlagen. Das ist auch der Hauptkritikpunkt der Patientenschützer. "Wir möchten keine Ärzte anprangern", betont Hauser. Aber sie wollen auch nicht zulassen, dass die Patienten allein gelassen werden, wenn tatsächlich etwas schief gelaufen ist. Ihr Hauptziel: dass sich Krankenkassen, Arzt und Patient nach einem "Ärztepfusch" zusammensetzen und die Konsequenzen und das weitere Vorgehen beraten. Derzeit sieht die Situation anders aus. Die Haftpflichtversicherungen der Ärzte verhindern Schuldeingeständnisse der Ärzte. Folge: Oftmals bekommt der Patient seinen behandelnden Arzt nicht mehr zu Gesicht. Ein unmöglicher Zustand, so die Vorsitzende. Sie ist überzeugt, dass es "in 85 Prozent weniger Arzthaftungsfälle geben würde", wenn hernach ein klärendes Gespräch möglich wäre. Stattdessen geht es oft vor Gericht. Immerhin: Inzwischen kämpfen häufig die Krankenkassen an der Seite der Patienten. Denn bei einem attestierten Arztfehler müssen die Versicherungen für die Folgekosten auf kommen. Damit werden die Kassenbudgets erheblich entlastet.




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